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Artist of the Month

ARMAND GUILLAUMIN

MORGENSTIMMUNG AN DER SPITZE DER ILE BESSE (AGAY)

Armand Guillaumin (1841 Paris – 1927 Orly, Val-de-Marne)

Gemalt ca. 1901
Öl auf Leinwand, 65 x 81 cm
Signiert links unten: Guillaumin

Provenienz:
Galerie Drouant-David, Paris;
Französische Privatsammlung

Expertise des Comité Guillaumin (Dominique Fabiani, Stéphanie Chardeau-Botteri, Jacques de la Béraudière). Vorgesehen für den 2. Band des Werkverzeichnisses.

„Aber ja, lieber Freund, ich amüsiere mich damit rote Felsen und verkrüppelte Bäume zu malen, ich habe bereits fünf Tuben Zinnoberrot und andere Rots verbraucht, die röter sind als ihre Ansichten und die meinen zusammen…”
Guillaumin, 1911, WVZ, S. 22
Armand Guillaumin, regelmäßig im Handel und auf Auktionen vertreten, ist auf den ersten Blick kein Künstler, der wiederentdeckt werden müsste und ist es auf den zweiten Blick dann doch. Obwohl Guillaumin, Impressionist der ersten Stunde, 1863 mit Monet, Renoir, Degas, Morisot, Sisley, Pissarro und Cézanne auf dem Salon des Refusés und zwischen 1874 und 1886 auch auf allen anderen berühmten Ausstellungen der Gruppe ausstellte, ihm bei der Durchsetzung des Impressionismus ein wichtiger Platz zukommt und er durch seinen rauen, farbigen, persönlichen Stil den Fauvismus vorbereitete, liegt seine Bekanntheit weit hinter der der anderen zurück, und genauso verhält es sich mit den Preisen, zu denen er gehandelt wird. Diese bewegen sich im sechsstelligen und nicht im Millionen-Bereich. Dafür gibt es Gründe. An der Qualität seiner Bilder liegt es nicht, wie die grandiose „Morgenstimmung an der Spitze der Ile Besse (Agay)“ von 1901 beweist.
Für ein Leben mit der Kunst und für die Kunst, waren Guillaumins Voraussetzungen denkbar ungünstig. In ärmliche Verhältnisse hineingeboren, war für ihn an den Besuch der Kunstakademie nicht zu denken. Er musste eine Lehre beginnen und bis zu seinem 51. Lebensjahr hart arbeiten. Das Malen und Zeichnen brachte er sich mehr oder weniger autodidaktisch bei. Viel lernte er in seiner raren Freizeit bei Museumsbesuchen und durch freies Üben vor der Natur und errang damit seinen Platz unter den Künstlern. Besonders die jungen avantgardistischen Künstler begeisterten sich für seinen unkonventionelleren Stil. Zu seinen Freunden und Bewunderern zählten Cézanne, van Gogh und Gauguin, große Künstler und Außenseiter wie er selbst. Van Gogh schätzte seinen rauen, ehrlichen Stil. Gauguin kaufte seine Bilder, als er noch Börsenmakler war und schloss sich ihm an, als er selbst zu malen begann. Er half Sisley bei der Entwicklung des Divisionismus und Othon Friesz dabei, Fauvist zu werden. Pissarro unterstütze stets seine Teilnahme an den Impressionisten-Ausstellungen, weil er ihn und sein Werk sehr schätzte. Cézanne, der ihn 1875 bei einem gemeinsamen Malausflug porträtierte (siehe oben), kopierte sein Gemälde „Am Quai de Bercy in Paris“ (beide in der Hamburger Kunsthalle, siehe unten).
Guillaumin, 1875/76
Cézanne, 1875/76

Tipp

Im Museum Barberini in Potsdam läuft zur Zeit eine großartige Ausstellung zu Guillaumin Freund und Förderer, Camille Pissarro. Beide Künstler sind große Impressionisten der ersten Stunde und testeten die Grenzen des Stils durch grandiose Bilderfindungen aus.
Erst 1891 ermöglichte ihm der Gewinn von 100.000 Goldfranc in der französischen Staatslotterie das freie unabhängige Arbeiten und Reisen. Auf die Verkäuflichkeit seiner Werke musste er nun keine Rücksicht mehr nehmen und konnte mutig experimentieren. Um in Ruhe arbeiten zu können, zog er 1893 nach Crozant und gründete eine Künstlerkolonie, die, wenn auch nicht so berühmt wie die Schule von Pont Aven, doch Kunstgeschichte schrieb und reiste nun regelmäßig an die Côte d’Azur, wo es ihm vor allem die roten Felsen von Agay, zwischen Saint-Raphaël und Cannes, mit den malerisch vom Wind gebogenen Bäumen angetan hatten.
Agay hatte die Impressionisten schon immer fasziniert, eigneten sich die Felsformen und die bizarr verformten Bäume vor dem glitzernden Meer doch ideal für Meisterwerke des Japonismus. Hinzu kommen die faszinierenden, je nach Licht und Tageszeit wechselnden Rottöne des Felsmassivs. „Morgenstimmung an der Spitze der Ile Besse (Agay)“ ist, was Motiv, Stimmung und Licht angeht fraglos ein großartiges Beispiel impressionistisch-japonistischer Landschaftsmalerei, diente aber der nachfolgenden Künstlergeneration wegen der intensiven Farben und vereinfachten Formen auch als Inspiration bei der Entwicklung des Fauvismus. Die Komposition ist einfach und in ihrer Einfachheit raffiniert. Himmel, Horizont, Meer und Land sind in Streifen angelegt. Im größten Feld schieben sich die roten Felsen der Ile Besse in einem Dreieck mittig ins Bild. Wären da nicht die knorrigen, bizarren Bäume, die vom oberen Bildrand leicht überschnitten werden und die Felsen optisch verankern, hätte man überspitzt gesagt eine abstrakte Komposition aus horizontalen Streifen mit zentralem rotem Dreieck. Soweit ging Guillaumin natürlich noch nicht, aber seine modernen Tendenzen wurden sowohl von den jungen Wilden unter den Künstlern wie auch einigen Kritikern wahrgenommen.
An Agays Felsen und Farben konnte sich Guillaumin nicht sattsehen und malte wie Monet vergleichbar zwischen 1899 und 1914 ganze Serien des Motivs, die zu den besten und am teuersten gehandelten Werken seines Oeuvres zählen.

AGAY, ILE BESSE BEI SONNENUNTERGANG

Armand Guillaumin (1841 Paris – 1927 Orly, Val-de-Marne)

Gemalt 1901
Öl auf Leinwand, 65,8 x 81,3 cm
Signiert rechts unten: Guillaumin, verso auf dem Keilrahmen betitelt Agay und datiert avril 1901 (April 1901)

Provenienz:
Paris, Galerie Rosenberg, Armand Guillaumin, 1918 (Galerie Rosenberg Ausstellungsetikett rückseitig auf dem Keilrahmen)
Privatsammlung, Paris
Galerie Serret et Fabiani, Frankreich
Europäische Privatsammlung (beim Serret et Fabiani gekauft)
Asiatische Privatsammlung

Expertise von Dominique Fabiani, 15.11.1989

Der Künstler war eben nicht nur der letzte Überlebende der ersten Impressionisten-Generation, als der er in der Kunstgeschichte gilt, sondern vor allem ein mutiger Vordenker der Moderne, der auch mit 60 noch dicht am Puls der zeitgenössischen Kunst agierte. Unsere beiden Bilder lassen einen nicht gleichgültig, so lange und so oft man sie auch anschaut, und das ist ein Kriterium für große Kunst. Zusätzlich könnte man sich permanente Ferien an einer der schönsten Küsten der Welt nach Hause holen.