Lhote, André: Blick auf Avignon
André Lhote (1885, Bordeaux – 1962, Paris)
BLICK AUF AVIGNON
Gemalt in den 1930er Jahren
Gouache auf Papier, 37 x 54,5 cm
Signiert links unten: A. Lhote
André Lhote malte von 1910 bis zum Ende seiner Karriere viele Ansichten Avignons in der nördlichen Provence. Er umkreiste die Stadt regelrecht mit seinen Gemälden. Die ehrwürdige, ehemalige Papstresidenz hatte es ihm angetan, und es ist sicher auch kein Zufall, dass er als Theoretiker des Kubismus den Ort wählte, an dem Picasso 1907 seine spektakulären „Demoisselles d’Avignon“ schuf und dem Stil begründete.
1926 kaufte Lhote ein Haus in Mirmande, circa eine Stunde südlich von Avignon gelegen, in dem er während des Krieges vielen Künstlern Unterschlupf gewährte, und 1938 rückte er mit dem Kauf eines Hauses in Gordes, im Herzen der Provence, noch näher an die Stadt heran. Die historischen Wahrzeichen, malerischen Dörfer und Relikte der Vergangenheit in der Region waren ihm eine unerschöpfliche Inspirationsquelle. Obwohl er ein Vertreter der Moderne mit einem ganz persönlichen Stil war, verlor er die klassische Kultur und kunsthistorische Tradition nie aus den Augen, wollte, wie er, frei übersetzt, formulierte „mit modernen Mitteln am Ende selbst zum Klassiker werden“. Dieses Ziel teilte er mit André Derain und Jean Cocteau, der die Künstler mit seinem „Rappel à l’ordre“ in den 1920er Jahren aufforderte zur Klassik zurückzukehren.
Wie alle Kubisten war Lhote ein glühender Verehrer Paul Cézannes, was man seinem Avignon-Gemälde ansieht. 1907 hatte ihn die große Cézanne-Retrospektive in Paris veranlasst, endgültig die Bildhauerei aufzugeben und sich ganz der Malerei zuzuwenden. Als er das vorliegende Bild malte, war Cézanne, vom kontrovers betrachteten Avantgardisten zum kunsthistorisch geschätzten, modernen Klassiker avanciert, für ihn, was Farbigkeit, Flächenaufteilung und Bildkomposition anbelangt, die ideale Inspirationsquelle. Daneben klingen weitere Vorbilder an, von der klassizistischen Landschaftsmalerei des 18. Jahrhunderts bis zu Jean-Baptiste Camile Corot. Die vorliegende Gouache ist eine von Lhotes schönsten und harmonischsten Avignon-Ansichten und lässt sich anhand verschiedener Vergleichsbilder in die frühen 1930er Jahre datieren. Sie ist wahrlich das Werk eines modernen Klassikers.
Neben den Landschaftsgemälden, die Lhote von den 1930er Jahren bis zu seinem Lebensende malt, entstehen auch viele Zeichnungen wie die Folgende. Sie zeichnet sich durch die Klarheit der Bildkomposition und die gekonnte Reduktion aufs Wesentliche aus – gewissermaßen „edle Einfalt und stille Größe“, wenn man so will – und hat dadurch ebenfalls die Wirkung und Ausstrahlung eines modernen Klassikers.